Demokratisierung des Qualitätsmanagements

Interview: Vom Oberlehrer zum Prozessbegleiter – so gelingt die Demokratisierung des Qualitätsmanagements

„Was gibt es Cooleres, als die Optimierung meiner eigenen Arbeitsumgebung?“ QM-Expertin Ursula Wienken ist überzeugt davon, dass die Grundideen des Qualitätsmanagements alle Mitarbeitenden packen können. Als Ausbilderin, Coach, Beraterin und externe Auditorin weiß sie allerdings auch, dass es vielerorts noch große Barrieren zwischen dem QM und der Praxis gibt. Wie man sie wegräumt und welche Mehrwerte dann entstehen, erläutert sie im Gespräch mit Andreas F. Lüth von QDA SOLUTIONS. Als Anbieter von CAQ-Lösungen ist QDA SOLUTIONS entschlossen, die Demokratisierung des Qualitätsmanagements voranzutreiben. Softwareseitig geht es darum, QM-Informationen organisationsweit verfügbar zu machen. Zudem sollen Anwender ihre Workflows auch selber gestalten können. Doch bevor eine solche IT-Unterstützung greifen kann, geht es darum, die Zusammenarbeit zwischen QMBs und Fachbereichen auf eine neue Basis zu stellen. Worauf es in diesem Change-Prozess ankommt, zeigt das folgende Interview.

Ursula, Sie kommen viel rum und lernen dabei immer wieder neue Unter­nehmen kennen. Stellen Sie fest, dass sich bei der Akzeptanz von QM in letzter Zeit etwas getan hat?

Definitiv. Schauen Sie, ich bin vor allem in Unternehmen unterwegs, die in den Bereichen Medien, Kreativwirtschaft, IT, Beratung, Bildung und soziale Dienste zuhause sind. Das sind stark menschenbezogene Organisationen. Als QMB treffen sie dort auf Arbeitsteams, die die Vorgaben des Qualitätsmanagements verstehen und ein Stück weit auch mitbestimmen wollen. Dieses Interesse war schon immer recht ausgeprägt. Doch spätestens jetzt – mit dem Eintritt der Millenials und Post-Millenials in den Arbeitsmarkt – ist es noch einmal deutlich größer geworden. QMBs tun daher gut daran, noch stärker als bisher auf Kooperation und Partizipation zu setzen. Zum Glück gibt es dazu aber auch einiges an Rückenwind aus der Regulatorik.

Inwiefern?

Damit meine ich vor allem die letzte Revision der ISO 9001. Die stammt zwar von 2015 und ist damit auch schon wieder gut sieben Jahre alt. Trotzdem wirken sich die Neuerungen in ihr immer noch sehr, sehr stark auf die aktuelle Praxis aus. Dies liegt insbesondere daran, dass zahlreiche Dinge aus der Norm gestrichen wurden, die viel zu formalistisch und starr waren. So zum Beispiel die Mussprozesse. Und selbst der oder die QMB ist keine wirkliche Pflichtrolle mehr. Stattdessen gibt es eine Reihe von Aufgaben zu verteilen, die rund um das QM zu erledigen sind.

Wird die Norm damit zur Wegbereiterin der QM-Demokratisierung?

Wenn Sie so wollen, kann man das so ausdrücken. Schließ­lich trägt die Revision ganz entscheidend dazu bei, dass sich die Fachbereiche nun auch wirklich stär­ker ins QM einschalten können. Damit lassen sich gerade auch all diejenigen abholen, die die Ziele und Vorgehensweisen des Qualitätsmanagements aktiv mitgestalten wollen. Gerade in jungen Unternehmen gelingt das oft schon ziem­lich gut. In vielen etablierten Betrieben ist die Lernkurve allerdings etwas länger.

Warum?

Meistens gibt es da eine ganze Reihe von Faktoren. Zunächst einmal ist es natürlich so, dass Mitwirkung immer auch an Ressourcen gebunden ist. Konkret heißt das: Wie verschaffe ich den Leuten in meinem Team die Zeit, dass sie an Verbesserungsprojekten kontinuierlich mitarbeiten und dann zum Beispiel auch Prozessverantwortung übernehmen können? Um die dazu erforderlichen Res­sourcen freizugeben, muss das Management mitziehen. Gerade hier brauchen wir zuallererst ein Umdenken. QM ist dann nicht mehr nur eine reine Pflicht­aufgabe, um an Zertifizierungen zu kommen, sondern auch ein ganz wesentlicher Weg, um die Wertschöpfungsziele des Unternehmens zu erreichen.

Die Demokratisierung des QM hängt also zuallererst vom passenden Mindset ab.

Ohne Zweifel. Vielerorts betrifft das aber auch gar nicht mal nur die Leitungs­ebene. Mit der neuen ISO waren auch viele QMBs ein Stück weit überfordert. Und mit ihnen übrigens auch so manch ein Auditor. Uns allen fehlte es zunächst noch an Orientierungspunkten, an denen man die Normenkonformität eines QM-Ansatzes festmachen und dann auch überprüfen kann.

Wie findet man diese Punkte?

Die Norm ist kontextbezogen aufgebaut. Das bedeutet: Will man sie richtig bedienen, muss man den betrieblichen Kontext klären, in dem QM einen Mehr­wert bringen soll. Somit muss man viel stärker als bisher darüber nachdenken, warum man als Unternehmen etwas tut, welche Ziele sich damit verbinden und ob das aktuelle Vorgehen tatsächlich den gewünschten Nutzen bringt. Antworten auf diese Kontextfragen kann ich als QMB nicht alleine finden. Stattdessen brauche ich den Austausch mit den Fachbereichen und dem Management. Nur so kann ich die Ideen, die hinter der Norm stehen, auch tatsächlich auf den betrieblichen Alltag herunterbrechen. Zentrale Fragen sind dann: Was zum Beispiel kann denn wirklich schiefgehen in unserer Ablauforganisation? Oder: An welchen Stellschrauben müssen wir denn tatsächlich drehen, damit sich die Qualität unserer Produkte oder die Zufriedenheit unserer Kunden verbessert?

Letztlich geht es darum, die ISO-Vorgaben in die Perspektive der Mitarbeiter zu übertragen?

Ganz genau. Was natürlich eine ziemliche Herausforderung ist. Schließlich muss ich dann sowohl die Normen als auch die Prozesssprache der Praxis verinner­lichen. Nur wenn ich in beiden Welten zu Hause bin, werde ich die passenden Schnittmengen finden. Und damit verbunden eben auch die Anhaltspunkte, über die ich die Fachkollegen für die Norm begeistern kann. Das schaffen QMBs, wenn sie sich von den Texten der Normen lösen. Ziel ist es, die Ideen zu vermitteln, die hinter den Texten stehen. Und auch hier ist es ganz wichtig, das Management mitzunehmen. Auch die Führung des Unternehmens ist auf Übersetzungsleistungen durch QMBs angewiesen.

Die Demokratisierung des QM hat dann also ganz viel mit Übersetzungsarbeit zu tun.

Unbedingt. Wichtig aber auch: Neben der Übersetzung der Norm in die Sprache der Praxis geht es immer auch um die Rückübersetzung in die ISO. Am Ende des Tages will schließlich auch der Auditor oder die Auditorin wissen, wie die Abläufe des Unternehmens in die Struktur der Normvorgaben passen. Auch diese Rückübersetzung ist eine wirklich komplexe Angelegenheit. Aber es lohnt sich. Alles andere ist letztlich Zeit- und Ressourcenverschwendung und macht im Grunde genommen nur unglücklich.

Damit ändern sich ja sicherlich auch die beruflichen Fähigkeiten, die Qualitätsbeauftragte mitbringen sollten.

Genau. In demokratisierten QM-Systemen werden QMBs zu Prozessbegleitern. Sie machen Empowerment und unterstützen die Teams. Sie sammeln Optimie­rungsideen und priorisieren diese Ideen vor dem Hintergrund der QM-Ziele. Sie vermitteln zwischen dem Management und den Teams. All dies geschieht in enger Absprache mit den Beteiligten. Gefragt ist daher eine gelungene Kombination aus QM-Verständnis, Normenverständnis, Prozessverständnis und Managementverständnis mit Skills wie Kommunikationsstärke, Überzeugungskraft und Begeisterungsfähigkeit. Neben dem Vermitteln der Regulatorik heißt das konkret, man muss zuhören, moderieren und motivieren können und im Zweifel auch mal coachen oder Konflikte mediieren.

Solche Skills gelten ja eher als weiche Faktoren. Dennoch sind sie aus Ihrer Sicht der eigentliche Schlüssel zum Erfolg?

Absolut. Schließlich werden die Mitarbeitenden erst dann mitmachen, wenn sie verstehen, dass es im Endeffekt um ihre ganz persönliche Arbeit geht. Und nicht etwa darum, wie man Papiere für Audits schreibt. Der direkte Rückbezug auf die eigene Arbeit ist extrem wichtig. Gerade deshalb rate ich allen QM-Teams dazu, immer auch auf die sogenannten Quick Wins zu achten. Damit sind Verbesserun­gen gemeint, die sich möglichst schnell einstellen. Nur wenn Teams erleben, dass sich tatsächlich etwas zum Besseren verändert, wächst die Bereitschaft, sich zusätzlich zum Tagesgeschäft in die Suche nach Verbesserungen einzubringen. Für das Management gilt das Gleiche. Nur, wenn sich Erfolge zeigen, bleibt die Bereitschaft, Ressourcen ins QM zu stecken. Um die Motivation für eine echte Beteiligung hoch zu halten, sind regelmäßige Erfolgserlebnisse extrem wichtig. Schließlich braucht es einen ziemlich langen Atem, um die Prinzipien des QM gerade auch im Tagesgeschäft zu verankern. Die kleinen Fortschritte helfen dabei, dass alle am Ball bleiben und die Demokratisierung des QM tatsächlich zu einer Erfolgsgeschichte wird.

Ursula, herzlichen Dank für das Gespräch.

Profilbild von Ursula Wienken

Ursula Wienken
Geschäftsführerin
MQ Gesellschaft für mehr Qualität mbH
www.mq-koeln.de